Arminio
G. F. Händel
Zur damaligen Zeit als "Wunder" beschrieben und als "in jeder Hinsicht exzellent und immens erfreulich", hat Arminio seltsamerweise nur sechs Aufführungen in Londons Covent Garden erfahren (zwischen 12. Januar und 12. Februar 1737) und wurde danach beinahe 200 Jahre lang nicht mehr gezeigt. Auch in neuerer Zeit ist dieses Werk, unverdienterweise, vernachlässigt worden und ist somit reif für eine Neubegutachtung sowie für eine Aufbereitung für ein modernes Publikum. Eine Heldengeschichte, basierend auf Ereignissen an den germanischen Rändern des Römischen Reichs, wird nun wiederbelebt in einer neuen und hinreißenden Produktion von Parnassus und ihrem Art Director Max Emanuel Cencic, um sich in die unerreichte Serie von Händels opera seria einzufügen, die die mehrfach preisgekrönte Bühnenproduktion und CD-Aufnahme von Alessandro anführt.
Die Geschichte von Arminio beruht auf der berühmten Niederlage dreier römischer Legionen unter ihrem Heerführer Publius Quintilius Varus in der Schlacht vom Teutoburger Wald im Jahre 9, zugefügt vom "Barbaren-Prinzen" Hermann (Arminius), der eine Allianz aus sieben germanischen Stämmen anführte. Diese Katastrophe, die in römischen Quellen "Clades Variana" (das Varian-Disaster) genannt wird, beendete endgültig jeden Traum von der Eroberung großer Gebiete jenseits des Rheins. Es ist typisch für die Haltung der Librettisten der opera seria gegenüber der Geschichte, dass diese Ereignisse, sowie Varus anschließender Tod, in nur wenigen Zeilen Rezitativs am Ende der Oper erwähnt werden. Stattdessen webt der Author des Librettos, Antonio Salvi, um den Namen des Protagonisten eine konfliktbeladene Handlung voller Liebe und Eifersucht, Plichterfüllung und Verrat sowie versuchten Selbstmords, in der Arminio ein leidgeprüfter Held ist, der von den Römern, deren Anführer Varus es nach seiner Frau gelüstet, geschlagen und festgenommen wird. Der Text, den Händel letztlich verwendete, ist stark überarbeitet. Besonders Salvis Rezitative sind von über 3000 Zeilen auf wenig mehr als 300 gekürzt, was wohl in Hinblick auf Händels Londoner Publikum geschah, aus dem nur wenige Italienisch verstanden. Die Originalversion war dafür bei anderen bekannten Komponisten beliebt, unter ihnen Caldara und Galuppi, und wurde gleich zweimal von Händels großartigem Zeitgenossen, Johann Adolf Hasse, auf die Bühne gebracht.
Die größten Stars in Händels Opern waren Kastraten wie der berühmte Altist Senesino. Der war in 17 von Händels frühen Bühnenwerke die erste Stimme, bis er 1733 zu einer Konkurrenzfirma wechselte und der Komponist andere Sänger als primi uomini anstellen musste, welche jedoch nie länger als zwei Saisonen bei ihm blieben. In Anbetracht der ständigen Rivalitäten zwischen Sängern, besonders zwischen Kastraten, die wahrscheinlich im achzehnten Jahrhundert noch deutlicher waren als heute, ist Arminio insofern ein ungewöhnliches Werk, als es gleich zwei Rollen für den "ersten Mann" bereithält: die Titelrolle, geschrieben für den Altisten Domenico Annibali, hat zwar längere Gesangsparts, doch der erste Interpret der Rolle des Sigismondo, der Sopran-Kastrat Domenico Conti, genannt Gizziello, war damals wohl der berühmtere von beiden und der einzige männliche Sopran (und eben nicht Mezzosopran oder Altist), für den Händel in London Rollen schrieb. Conti war jedoch ein bekanntermassen bescheidener Mann, was es Händel wohl erleichtert hat, das Problem mit dem "Sänger-Protokoll" zu lösen. Annibali wiederum, der lange im Dienst des Kurfürsten von Hannover in Dresden stand (wodurch er, neben anderen Ruhmesbezeugungen, als einziger Kastrat von der Meissner Manufaktur in Porzellan abgebildet wurde), wurde von einem Freund Händels als jemand bezeichnet, der "die besten Teile von Senesinos und Caristinis Stimmen besitzt (letzterer ein anderer von Händels Stars), sowie einen erstaunlich feinen Geschmack und gutes Betragen". Conti war dagegen ein typischer "reisender Sänger", der seinen Ruhm in Italien, Wien und Lissabon erwarb. Händel sah in ihm angeblich ein "aufsteigendes Genie", doch seine Zurückhaltung war beinahe übertrieben. Einmal brach er zusammen, als er den großen Farinelli singen hörte und äusserte, er selbst werde nun nie wieder auftreten können. Der Musikhistoriker Charles Burney schrieb, dass Conti, nachdem er das verheerende Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 überlebt hatte, von dem schrecklichen Ereignis dermassen beeindruckt war (und zwar in religiöser Hinsicht), dass er den Rest seiner Tage in einem Kloster verbrachte (was aber eher eine gute Geschichte sein könnte, als faktisch). Die erste Sopranrolle der Tusnelda wurde von der berühmten Sopranistin Anna-Maria Strada del Pò übernommen, einer robusten Frau, die die 1730er Jahre hindurch in Händels musikalischen Diensten stand. Sie sang 13 Premieren für ihn, sowie 11 Wiederaufnahmen. Keine Schönheit (ihr gebräuchlichster Spitzname war "das Schwein"), war sie doch eine hervorragende Künstlerin mit einer beachtlichen emotionalen wie vokalen Spannweite. Händel betrachtete sie als von ihm geformte Sängerin, die durch seine Melodien modelliert war. Als sie zu ihm kam sei sie grob gewesen, und ihr Talent perfektibel, und er hätte ihr Reputation und Geschmack verliehen. Die typischerweise geringere Rolle des römischen Kommandanten Varo wurde vom großen englischen Tenor John Beard verkörpert, der zum dritten Mal in einer Händel-Oper auftrat, der Misshandlung durch die Kritiker jedoch ebenfalls nicht völlig entkam. So bechrieb ihn Lord Chaftesbury als "für absolut nichts gut". Händel widersprach dem deutlich und Beard sang noch in sieben weiteren seiner Opern sowie in fast allen seinen Englischen Oratorien. Später heiratete er, skandalöserweise, in die englische Aristokratie und wurde selbst zum Leiter des Covent Garden Theatre, eben jener Spielstätte, an der Arminio, wie so viele andere seiner Opern, uraufgeführt worden war.
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Besetzung
Arminio: Max Emanuel Cencic*
Tusnelda: Layla Claire* | Sandrine Piau | Lauren Snouffer
Ramise: Ruxandra Donose* | Gaia Petrone
Sigismondo: Vince Yi* | Aleksandra Kubas-Kruk
Varo: Juan Sancho*
Tullio: Owen Willets | Xavier Sabata* | Victor Jimenez-Diaz
Segeste: Pavel Kudinov | Petros Magoulas*
Orchester: Armonia Atenea*
Dirigent: George Petrou*
Regie: Max Emanuel Cencic
Bühnenbild, Licht: Helmut Stürmer
Kostüme: Helmut Stürmer, Corina Gramosteanu
Video: Etienne Guiol, Arnaud Pottier
Dramaturgie: Michael Fichtenholz
* CD-Aufnahme